FRÜHKASTRATE: Fluch oder Segen?!

Dieses Thema wird heiß diskutiert. Ich werde versuchen einiges erklärbar aufzudröseln.


Was genau ist so ein Frühkastrat? 

Ein echter Frühkastrat wurde kastriert VOR erreichen der Geschlechtsreife. Aber wann ist so ein Bub denn genau geschlechtsreif? Bei männlichen Meerschweinchenbabys sind die Hoden zum Zeitpunkt der Geburt, wie bei den meisten anderen Säugetieren, im Bauchraum gelagert. Diese werden bei dem Prozess der Geschlechtsreifung auf Betriebstemperatur absenkt, indem sie in den kühleren Hodensack absteigen. Unten angekommen, kann die Produktion von Samenzellen und Hormonen so richtig durchstarten. Der richtige Zeitpunkt für eine Frühkastration ist während der Abstiegsphase. Die Hoden werden vom Tierarzt runtermassiert und operativ entfernt. Sie werden NICHT, wie oft behauptet, aus dem Bauchraum rausgeschnitten. Es ist nicht das Alter oder das Gewicht für den Termin entscheidend, sondern einzig und allein die Lage der Bällchen. Bei einer durchschnittlichen Wurfgröße und Geburtsgewicht ist der richtige Termin in etwa zwischen der 3.-5. Lebenswoche und ca. 250 g. Bei sehr großen Würfen mit geringem Geburtsgewicht oder einem dicken Einzelkind kann der Termin variieren. Da ist Fingerspitzengefühl gefragt. Mit etwas Übung kann man das gut ertasten, in dem man rechts und links vom Nabel aus abwärts streicht. Man spürt dann zwei kleine Knubbel. Beim ersten Mal sollte jemand mit Erfahrung das vormachen und anleiten. Frühkastrate dürfen nach der OP sofort wieder zu Mama in die Herde. Es gibt keine Wartezeit, da ja noch nichts da war, weswegen man nun warten sollte ;-). Frühkastrate haben dadurch das Privileg weiter bei Mama säugen zu dürfen und sich jede Menge an Sozialkompetenz bei den großen Herdenmitgliedern abschauen zu können, sofern welche vorhanden sind. 


Was ist bei Frühkastraten denn nun anders als bei Spätkastraten? 

Frühkastrate sind KEINE geschlechtslosen Neutren! Es stimmt, dass sie viel weniger Testosteron im Blut haben, weil es ja zum größten Teil in den Hoden gebildet wird, aber ein bisschen was produziert die Nebennierenrinde auch. Allerdings sind sie in der Regel viel friedlicher und halten sich gern aus Streitigkeiten raus. Zum Teil ist das bestimmt auch der guten Erziehung von Mama und Tanten geschuldet. Sie sind daher ideale Begleiter von erwachsenen (Zucht)Böcken und prima Gruppenmitglieder in Boygroups. Auch als Zweit- oder Drittkastrat in Mischgruppen haben sie mehr als nur eine Daseinsberechtigung. Oft entstehen sogar innige Männerfreundschaften mit ihrem Ziehpapa. Es gibt immer wieder Redebedarf über die Nachteile in der körperlichen Entwicklung von Frühkastraten. Ich kann nun nur für mich sprechen, aber ich kenne keine. Die Frühkastrate, die mich begleiten wurden nicht ungewöhnlich groß oder klein, dick oder dünn. Auch einen Unterschied in der Lebenserwartung konnte ich nicht feststellen. Mir ist zu diesem Thema auch keine Studie bekannt. Wer von euch repräsentative Aussagen machen kann, darf sich sehr gerne an mich wenden! 

Jetzt kommen wir zu den Vor- und Nachteilen der Frühkastrationim Überblick: 

Vorteile: 

- Die Frühkastration ist sehr gut verträglich. Es kommt nur äußerst selten zu Entzündungen oder Kastrationsabszessen. Dagegen steigt das Risiko der Abszessbildung und von Narkoseprobleme mit fortschreitendem Alter. 

- Die kleinen Jungs dürfen am selben Tag wieder zu Mutti und in Ruhe die Säugezeit genießen. Idealerweise werden sie in einer alters- und geschlechtsgemischten Herde sehr gut sozialisiert 


Nachteile: 

- Viele Tierärzte scheuen die Fummelarbeit und bieten keine Frühkastration an. Manche Tierärzte versuchen ihren Kunden diese mit dubiosen Aussagen sogar auszureden. 

- Die Frühkastra ist manchmal teuer (ich bezahle hier gut 60€) 

- Der richtige Zeitpunkt muss sicher bestimmt werden


Frühkastrat oder Spätkastrat für meine Herde? 

Bei der Auswahl des richtigen Kastraten für die heimische Fellnasentruppe sollte man sich nicht von den süßen Babygesichtern der kleinen Frühkastraten oder der männlichen Ausstrahlung des ehemaligen Zuchtbocks leiten lassen, sondern von den Bedürfnissen der Gruppe! Eine zickige Mädels-WG braucht einen gestandenen (Ex)Mann und keinen weichgespülten Softie! Die eingespielte Jungsgruppe oder die unbelehrbare Oberzicke nimmt aber viel besser den kleinen Frühkastraten auf, als den charakterstarken Spätkastraten. Beide Formen der Kastration sind wichtig und werden gebraucht! 


Wie immer folgt jetzt der Nachsatz, dass diese Aussagen allein auf meiner Erfahrung beruhen. Sie sind nicht für jedes Tier allgemein gültig! Der Charakter jedes einzelnen leistet einen großen Beitrag zum Verhalten des Tieres! Ein guter Züchter kennt seine Buben und wird nach ausführlicher Gruppenbeschreibung eine Empfehlung abgeben können. Bei sehr jungen Frühkastraten ist aber die Kennenlernzeit zu kurz, um gesicherte Aussagen machen zu können. Das sollte jedem bewußt sein. Viele Grüße Julia